Dieser Tage landete ein Buch auf meinem Schreibtisch, das man – wie vieles seit dem Corona-Orkan – plötzlich mit einem anderen Blick betrachtet. Der Ökonomie-Nobelpreisträger Robert J. Shiller schreibt darin über die Narrative der Wirtschaft. Sein verhaltensökonomischer Ansatz erklärt, welche populären Geschichten (Narrative) unser Verhalten und die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen und wie wir diese Erkenntnisse nutzen können.
Hängengeblieben bin ich an einem Bericht aus der New York Times von 1932, den Robert Shiller unter vielen anderen Geschichten und Beispielen aus Krisenzeiten zitiert. Damals schrieb die Journalistin Anne O’Hare Mc Cormick:
„Es gibt Zeiten, in denen die Selbstgefälligkeit, der schroffe Egoismus und die Gier der Mitbürger nach Prahlerei schwer zu ertragen sind. Das ist in diesen Zeiten nicht so. Liegt der Markt am Boden, sind wir viel netter, als wenn es boomt. Die Hauptstraße ist während einer Weltwirtschaftskrise die netteste Nachbarschaft der Welt. Alle sind geduldig, wenn man durch sie hindurchfährt.“
Anne O’Hare Mc Cormick: The Average American Emerges“ New York Times, 3. Januar 1932
Braucht es Krisen, damit wir netter zueinander sind?
Braucht es tatsächlich Krisen, damit wir freundlich mit unseren Mitmenschen sind? Den parkenden Rettungswagen nicht anpöbeln, in der Behörde nicht rumprohlen, den Lieferservice nicht anmeckern und im Netz nicht ausfällig werden…?! Braucht es einen Shutdown, damit wir umgänglich miteinander sind und unsere Empathie sich nicht nur auf Leute beschränkt, die zum „Inner Circle“ gehören? Gilt dieses Narrativ tatsächlich nur für Krisen?
Wie bewahren wir das Positive?
Robert Shiller lässt sich zu dieser Frage nicht näher aus. Er beschreibt den Wandel und untersucht auch das Sparsamkeits-Narrativ, das in Krisen ebenso entsteht und sie deutlich verlängern kann: Plötzlich wird Bescheidenheit schick und bewusster Konsum selbstverständlich.
Verhält es sich bei dieser Krise, an deren Anfang wir erst stehen, genauso, wird die spannende Frage sein, ob und wie wir diese positiven Narrative in den Nach-Krisen-Modus retten wollen und können. Denn eines belegt Robert Shiller sehr detailliert: Die Geschichten, die wir uns erzählen, beeinflussen unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln enorm.
Vielleicht gilt es deshalb schon jetzt zwei neue, zeitgemäße Narrative zu entwickeln, die davon berichten, dass wir Mitmenschen genauso hilfsbereit und nachsichtig begegnen können, wenn es uns gut geht. Und dass bewusster Konsum nicht nur ein ökologisches Gebot, sondern auch ein funktionierendes Modell für wirtschaftliche Entwicklung sein kann.